Quantcast
Channel: blog acht » Postdemokratie
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3

In Verteidigung der NEOS

0
0

Auch wenn die NEOS teilweise ideologisch konträrere Positionen zu sozialdemokratischen Standpunkten einnehmen, sind sie letztlich eine konstruktive Kraft. Eine Erscheinung, mit der dem Voranschreiten der Postdemokratie Einhalt geboten werden könnte. Dass die NEOS derzeit so unter öffentlichem Beschuss stehen ist deshalb vor allem der Logik des politmedialen Komplexes geschuldet und weniger irgendwelchen Gründen von echter Relevanz.

Nikolaus Kowall

Die NEOS sind aus der Sicht der Sektion 8 in einigen unserer Kernbereiche wie Wirtschafts- und Verteilungspolitik eindeutig ein gefährlicher Gegner. Sie hätten das Potential dem abgehalfterten Marktliberalismus, der trotz seiner eigenen Krise noch immer den Mainstream dominiert, zumindest in Österreich ein bisschen Glanz zu verleihen. In ihrem Wirtschaftsprogramm heften sie sich die Paradigmen des Standortwettbewerbs und der Austeritätspolitik auf die Fahnen, die Europa eine nun fünfjährige Prolongierung der Krise beschert haben. Die Dysfunktionalität dieser beiden Konzepte aufzuzeigen und beide Dogmen auf den Müllhaufen der Ideengeschichte zu befördern, gehört zu den wichtigsten Zielen der Sektion 8.*

Trotzdem sind die NEOS die erste positive politische Neuerscheinung in Österreich seit der Entstehung des Liberalen Forums. Das sage ich nicht als Ideologe, sondern als Demokrat. Eine tendenziell wachsende liberal-urbane Bevölkerungsgruppe, die mit der ÖVP aus naheliegenden Gründen nichts mehr anfangen kann, ist schon lange auf der Suche nach einer politischen Heimat abseits der Grünen. Nun hat sich eine seriöse Partei gegründet, die es ernst meint mit der parlamentarischen Demokratie, und die versuchen möchte innerhalb derselben positiv für die öffentliche Sache zu wirken. Sie möchte dem Rückzug ins Private Vorschub leisten und ihre Zielgruppe am demokratischen Prozess teilhaben lassen oder zumindest Interesse für denselben wecken. Das ist das absolute Gegenteil des Wutbürgerwildwuchses, der die parlamentarische Demokratie seit 30 Jahren nach unten zieht. Der Erfinder des Wutbürgers war niemand anderer als Jörg Haider und seine Nachahmer konnten wie Fritz Dinkhauser sympathische Züge haben oder wie Frank Stronach einfach nur die personifizierte Groteske sein. Unterm Strich haben alle diese Volkszornbewegungen in erster Linie zur Zerstörung der politischen Kultur beigetragen – und die FPÖ führt dieses destruktive Erbe unbeirrt fort. Mit diesem Typus Partei haben die Pinken aber absolut nichts am Hut. Sind die NEOS eine positive Kraft für die Republik? Die Antwortet lautet Ja ohne aber.

NEOS unter Beschuss

Die veröffentlichte Meinung ist derzeit aber eine andere. Die vermeintlichen Fettnäpfchen der letzten Wochen werden genüsslich seziert, die NEOS werden mit dem LIF verglichen und ihre Existenzberechtigung als Partei wird in Frage gestellt. Mit der Interpolation gegenwärtiger Trends und Stimmungen in die Zukunft – übrigens ein Hauptdenkfehler kurzlebiger Medienlogik – werden den NEOS gar die Totenglöcken geläutet. Doch auf welcher Grundlage wird diese Meinung gebildet und veröffentlicht?

Matthias Strolz hat offenbar esoterische Anwandlungen und zelebriert dies öffentlich. Mir persönlich stellen sich bei Esoterik gewöhnlich die Nackenhaare auf, für die Beurteilung von Matthias Strolz als politische Persönlichkeit ist das aber unerheblich, denn seine diesbezügliche Attitüde fällt de facto unter Religionsfreiheit. Wenn wir ernst nehmen, dass Ethnie, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Religionszugehörigkeit Privatsache sind, dann kann die politische Person Matthias Strolz dafür nicht angegriffen werden. Natürlich ist es unklug von Strolz seine Privatangelegenheiten in die Öffentlichkeit zu tragen und durch ostentative Zurschaustellung diese Angriffsfläche zu bieten. Doch nur weil Strolz seine Privatsphäre nicht schützt, heißt das nicht, dass es legitim ist dieselbe zum Maßstab für seine politische Person zu erheben. Strolz‘ Gedichte sind keine politische Kategorie.

Vor allem aber weil Strolz‘ Offenbarungen mit einem Legalisierungsbeschluss für Cannabis zeitlich zusammenfielen, wurden die NEOS zur medialen Zielscheibe. Armin Wolf lud den pinken Parteichef zu einem der üblichen ZIB-2-Verhöre, ein Setting wo die Rollenverteilung zwischen Richter und Gerichtetem vorab festgelegt ist. So sehr es zu begrüßen ist, wenn Armin Wolf die Grassers und Westenthalers dieser Welt löchert, so wenig Sinn hat es, bei Leuten wie Strolz genauso vorzugehen. Zynikern, Hetzern, Spinnern und Blendern muss man anders begegnen als Menschen, die ernsthafte Anliegen haben. Und es gibt etliche Graustufen, wie z.B. zynische RegierungspolitikerInnen die einer Zwischenbehandlung bedürfen. Wer Ungleiches prinzipiell gleich behandelt, ist ungerecht. Armin Wolfs Markenzeichen ist nur leider mittlerweile jedwede Person zu „zerlegen“. Dabei stellt sich die Frage, ob sich der Zynismus seiner schlimmsten Interviewpartner nicht im Laufe der Jahre auf den Interviewer selbst übertragen hat.

Schon die Einstiegsfrage, ob Strolz‘ je gekifft hat, ist eine Verletzung der Privatsphäre des Abgeordneten, weil der Sachverhalt niemanden etwas angeht. Nach einem kurzen inhaltlichen Geplänkel zum Thema Cannabis spricht Stolz Aspekte an, auf die wir auch gerne hinweisen. Wieso werden die Kernthemen der Parteien nicht medial diskutiert, sondern die Randthemen? Wieso werden Parteien nur eingeladen, wenn sie sich rechtfertigen müssen, also nur bei „Bad News“? Er macht darauf aufmerksam, dass die Fragen, die Wolf interessieren, nicht ident sein müssen mit dem, was für die Bevölkerung wichtig ist und er bezeichnet das ORF-Sommergespräch als Sommerverhör. Wolf reagiert mit pseudokreativer Boshaftigkeit: „Ihre Partei möchte gerne ein NEOS als neue Maßeinheit etablieren, nämlich als kürzeste Entfernung zwischen zwei politischen Fettnäpfen.“ Erst Dinge zu Fettnäpfen zu stilisieren und dann dem Parteichef diese zum Vorwurf zu machen bedarf einer ordentlichen Portion Chuzpe.

Noch eins draufgelegt hat Presse-Chefredakteur Rainer Nowak. Er zitiert Strolz’ vollständiges Kastanien-Gedicht um die unglaubliche Peinlichkeit zu ahnden, die Strolz sich erlaubt. Die liberale Presse zeigt dem NEOS-Chef hier die Grenzen des anständigen Verhaltens klar auf. Cannabislegalisierung sei ein lästiges Thema, von dem man sich bestmöglich fernhalten soll, so Nowak. Dabei ist Cannabis geradezu prädestiniert dafür durchzuspielen und durchzudiskutieren, was den Staat etwas angeht und was nicht. Doch in der liberalen Presse ist man nur liberal wenn es gegen die öffentliche Sphäre geht, denn Freiheit ist in erster Linie Eigentumsfreiheit. Nowak moniert auch noch Strolz‘ Auftritt im ORF: „Ein besonders wehleidig-rotziger Auftritt in der „ZiB2“ war dann der Höhepunkt seiner Harakiri-Tage.“ Ähnliches wurde über Stronach-Auftritte geschrieben und damit zeigt sich auch hier das fehlende journalistische Differenzierungsvermögen. Natürlich ist es gerechtfertigt Stronachs Auftritte zu kritisieren, weil er es als Majestätsbeleidigung empfand, wenn ihm überhaupt eine Frage gestellt wurde. Wenn Strolz es wagt gegenüber Wolf Augenhöhe herzustellen und dafür von Nowak gerügt wird, dann läuft die liberale Presse Gefahr als Verhaltenspolizei zu agieren.

Zuletzt ist Nowak noch beleidigt, dass die Stimme, die er offenkundig den NEOS gab, nicht in seinem Sinne Verwendung findet. Das verbrämt er jedoch unter Vorschiebung tausender WählerInnen – nicht gewählte JournalistInnen dürfen nämlich im Gegensatz zu gewählten PolitikerInnen die Volksmassen hinter sich wissen. Im Prinzip empört sich Nowak darüber, dass die NEOS den von ihm gewünschten Fokus auf eine marktliberale Agenda zugunsten einer Beschäftigung mit (aus seiner Sicht) Nebenschauplätzen aufgegeben hätten.

Der politmediale Komplex in der Postdemokratie

Wie mit den NEOS umgegangen wird ist ein Symptom dessen, was der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch als Postdemokratie bezeichnet. Zwar funktioniert der demokratische Prozess in der Postdemokratie formal noch, doch sind etwa Wahlen Ereignisse in denen

„konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben.“

Dabei steht kein konstruktives Verständnis von Staatsbürgerrechten im Vordergrund sondern es dominiert zunehmend eine Kultur

„des Tadelns und Sich-Beschwerens, bei dem das Hauptziel der politischen Kontroverse darin besteht, zu sehen, wie Politiker zur Verantwortung gezogen werden, wie ihre Köpfe auf den Richtblock gelegt werden und ihre öffentliche und private Integrität peinlich genau geprüft wird.“

Wir weisen regelmäßig auf die postdemokratischen Zustände hin, die auch in Österreich vorherrschen, so beispielsweise im September 2012 bei der damaligen Diskussion um Werner Faymanns Erscheinen vor dem Untersuchungsausschuss.

In dem Beitrag wird auch darauf hingewiesen, dass der politmediale Komplex aus Parteipolitik, Medien, Consulting, PR-Welt und Meinungsforschung in einer zunehmend selbstreferentiellen Welt agiert. Abgekoppelt von den Fragen die für die Lebensrealität der Bevölkerung relevant sind, werden stilisierte Duelle, knappe Rennen, vermeintliche Revolten, willkürliche Politikerrankings und oftmals konstruierte Skandale als Politik verkauft. In der ZIB 2 hat Strolz diese Dynamiken offen angesprochen. In einem anderen Blogeintrag habe ich Rudolf Hundstorfer im Jänner 2013 verteidigt, weil er von einem Ö1-Journalisten wie ein Sünder vor dem Inquisitor verhört wurde. Es ging übrigens um eine absolut irrelevante Lappalie. Damals habe ich geschrieben:

„Politiker/innen müssen sich von diesen JournalistInnen fast alles gefallen lassen, weil sie sonst von der veröffentlichten Meinung als arrogant, zugeknöpft, intransparent, aggressiv oder unausgeglichen abgekanzelt werden. Es wäre sehr befreiend, würden PolitikerInnen aufhören, sich wie Kaninchen vor der Schlange zu verhalten, und die Öffentlichkeit stärker mit ihrer Persönlichkeit konfrontieren.“

Die NEOS sind für uns als Sektion 8 deshalb so wertvoll, weil mit ihnen eine nicht-linke Partei mit den Zuständen der Postdemokratie zu kämpfen hat. Die Hoffnung für uns ist, dass damit das Interesse für die öffentliche Sache, der Respekt für die Demokratie und das Primat der Politik mittelfristig nicht nur von links der Mitte Rückhalt bekommt. Es geht auf Sicht darum ein Lager der konstruktiven und pro-demokratischen Kräfte gegenüber der zynischen Destruktion zu schaffen, denn derzeit dominiert zweiteres den gesamten politmedialen Komplex inklusive der alten Lagerparteien ÖVP und SPÖ. Und darum auch diese Solidaritätsadresse an die NEOS.

 

* Die NEOS könnten sich natürlich auch, wie von Robert Misik kürzlich skizziert, für einen gemäßigten Liberalismus entscheiden mit dem der Staat verbessert statt dezimiert werden soll. Ob das geschieht, ist eine derzeit noch offene Frage.

The post In Verteidigung der NEOS appeared first on blog acht.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3

Latest Images

Trending Articles





Latest Images